Manchmal nimmt die Debatte um die deutsche Familienpolitik skurrile Formen an. So auch jetzt, als der Bischof von Augsburg Walter Mixa der Familien-Ursi ideologische Verblendung vorwarf. Ich möchte jetzt nicht auf die Argumente Mixas und die Reaktionen seiner katholischen Kollegen und der Politiker verschiedener Parteien im Einzelnen eingehen. Nur soviel: Es kraucht mir immer wieder eiskalt den Rücken hoch und runter angesichts derer, die sich berufen fühlen über die Gestaltung des deutschen Familienlebens und die entsprechenden politischen Maßnahmen zu urteilen.
Manchmal denke ich, ich sollte mich in entsprechenden Diskussionen vielleicht ein wenig zurückhalten, schließlich habe ich selbst noch keine Kinder. Und vielleicht wird in den Jahren nach der Geburt mein einziger Wunsch sein, meinem Kind 24 Stunden am Tag selig lächelnd beim schlafen/spielen/ kranksein/kacken/essen zuzusehen – so wie jetzt beim Kater ;) – allerdings denke ich, dass diese Beschäftigung mit der Zeit ihren Reiz verlieren wird. Sowohl beim Kater als auch beim Kind.
Zurück zum Thema: Ich finde es beachtlich, mit welcher Chuzpe sich steinalte kinderlose Männer, die im Zuge des Zölibats Familienleben nur aus ihrer Herkunftsfamilie und vom Hörensagen kennen und altersbedingt von heutigen Familiengründern etwa zwei Generationen entfernt sind, zum Thema Familienlebengestaltung äußern und zwar nach folgender Gesetzmäßigkeit: Je konservativistischer und traditionalistischer desto lauter. Besonders gern führen sie dabei das Wohl des Kindes im Munde. Das Todschlagargument schlechthin: Die Mutter hat eine jahrelange Ausbildung gemacht, die sie selbst viel Aufwand und Geld gekostet hat und an der auch der Staat nicht ganz unbeteiligt war und möchte das erworbene Diplom nun nicht zusammen mit den vollgeschissenen Windeln in den Mülleimer stopfen? Rabenmutter! Soll sie doch keine Kinder kriegen, wenn sie sich dann nicht um sie kümmern will. Dass dieses praktische Argument allerdings in mehrerlei Hinsicht an der Lebenswirklichkeit von Müttern, Vätern, Kindern und Familien vorbeigeht, haben seine Verwender in ihrem Altersstarrsinn mit ihrer Alterskurzsichtigkeit offenbar übersehen.
Es ist schon lange nicht mehr so, dass die Mehrheit der deutschen Frauen als Hausfrau, Ehefrau und Mutter glücklich ist, so wie es in der Elterngeneration des Herrn Mixa noch der Fall war oder zumindest propagiert und kommuniziert wurde. Im Unterschied zu damals reicht eine mickerige Witwenrente nicht mehr zum Überleben nach dem Tod des abgearbeteiteten Gatten. Und auch zu dessen Lebzeiten haben Frauen im gebärfähigen Alter heute gewisse Ansprüche: Sie wollen es zum Beispiel nicht aus finanziellen Überlegungen hinnehmen müssen, dass das eheliche Zusammenleben eher eine Qual denn eine Freude ist oder dass der Herr Gemahl die ehelichen Freuden mit anderen Damen als der Hausmutter teilt. Die mütterliche Erwerbstätigkeit ist also finanzielle Notwendigkeit in mehrfacher Hinsicht: Nicht nur das materielle Überleben und Gedeihen der Organisation Familie wird gesichert, auch die individuelle Freiheit der Frau wird garantiert. Erwerbsarbeit als Selbstverwirklichung im doppelten Sinne sozusagen. Und das kann ein höheres Elterngeld auch nicht ausgleichen: Irgendwann fällt das weg, spätestens wenn das Kind erwachsen ist. Und was ist dann? Hartz IV für Muttis oder was?
Was Herrn Mixa an der familienpolitischen Argumentation aufgestoßen ist und was auch jedem anderen, der sich ein wenig genauer mit dieser Thematik beschäftigt hat, aufgefallen sein wird, ist, dass ökonomische Termini und eine nicht enden wollende Betonung des beruflichen Wertes von Familienarbeit – Windelnwechseln als softskill? – sowohl für den arbeitenden Elternteil als auch für die ihn beschäftigende Firma die Argumentation dominieren. Diese Schlagseite resultiert allerdings eher aus der gesellschaftlichen Realität heraus als aus ideologischer Verblendung. Die Ausrichtung der Diskussion zeigt schlichtweg die Stellen auf, an denen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie blockiert wird: Der Wirtschaft. Die andere Seite des Dreiecks – die politischen Rahmenbedingungen – wurde bereits durch die Reformierung des Elterngeldes und die Einführung der Vätermonate begradigt.
Was Bischof Mixa und seine Kollegen in ihren Argumenten unterschlagen, ist, dass diese Reformen nicht aus dem Nichts heraus entstanden sind und weder eine fixe Idee der Familienministerin noch ein perfider Plan der Wirtschaft zur Rekrutierung der gut ausgebildeten weiblichen Führungskräfte sind. Deshalb hier eine kurze Information für Bischof Mixa:
Das deutsche Volk will Kinderkrippenplätze! Die deutschen Frauen wollen nach der Geburt des Kindes und einer angemessenen Elternzeit wieder in ihren Beruf zurückkehren. Sie wollen es so sehr, dass sie sogar eher auf Kinder verzichten, als letztlich die Hausfrau zu spielen. Das beweisen die sinkenden Geburtenzahlen und sozialwissenschaftliche Umfragen zum Thema.
Es geht doch auch nicht darum, dass eigene Kind in die Krippe oder den Kindergarten abzuschieben, um möglichst wenig mit ihm zu tun zu haben. Es geht darum, für einige Stunden am Tag eine angemessene Betreuung für das Gör zu finden. Und damit wären wir dann auch beim Hauptbetroffenen der ganzen Diskussion und irgendwie wieder am Beginn des Textes: Die alten kinderlosen Männer wollen die Deutungshoheit darüber haben, was gut für anderer Leute Kinder ist. Nur wenig verwundert es, dass es umso besser sein soll je traditioneller die Betreuung ist: Mutti rules. Dass Kinderbetreuung heute nicht mehr viel mit den Schreckgespenstern aus DDR-Zeiten zu tun hat – Wobei auch damals nicht alles schlecht war: Ich war in der Krippe mit Sicherheit besser aufgehoben als bei meiner schrulligen Oma – ist an diesen Herren naturgemäß vorbeigegangen.
Vielleicht sollte mal jemand eine sozialwissenschaftliche Forschung unter Kleinkindern durchführen und sie zu ihren Einstellungen zu und Erfahrungen in Krippe und Kindergarten befragen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es so schlecht ist, den Tag mit Gleichaltrigen, Bergen von pädagogisch wertvollen Spielzeugen und Menschen – übrigens zumeist sehr muttiähnlichen Frauen – zu verbringen, die eben dafür ausgebildet wurden, kleine Kinder altersgerecht zu fördern und zu betreuen. Natürlich gibt es auch hier schwarze Schafe, aber Eltern werden überhaupt nicht auf ihre Eignung geprüft und sind wahrscheinlich öfter als uns lieb ist ungeeignet. Und ich glaube auch fast, dass ich entspannter wäre, wenn ich nachmittags mein Kind von der Krippe abhole und wir uns dann erzählen können, was wir den ganzen Tag gemacht haben, als wenn ich nachmittags gegen 2 schon wieder total genervt bin von Rollenspielen und Verstecken und Was-weiß-ich-nicht-alles.
Mixa und seine Kollegen im Geiste haben den eigentlichen Sinn von Vereinbarkeit von Familie und Beruf offenbar nicht verstanden: Familienleben soll möglich werden neben einer wie auch immer gearteten Berufstätigkeit. Krippen sollen keine Rund-um-die-Uhr-Zwangseinrichtungen werden, sondern den Müttern und Vätern eine Berufstätigkeit für einige Stunden am Tag ermöglichen.
Apropos: Die Argumentation der Traditionalisten lässt den Vater in der Regel außen vor oder erklärt ihn sogar als ungeeignet für vermeintlich mütterliche und häusliche Aufgaben. (Warum laufen die Männer nicht Sturm gegen solche Idiotie?) Mit Blick auf das Geschlecht und den bisherigen Lebensweg der Kritiker der modernen Familie glaube ich manchmal, dass es ihnen weniger um das viel bemühte Wohl des Kindes geht, sondern schlicht um die Verteidigung ihrer eigener Biografie, des von ihnen gewählten Lebensentwurfes – keine sehr günstige Ausgangslage für eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Thema.