Auf den ersten Blick hatte sich die Welt in Berlin durch den Beginn der WM nicht sonderlich verändert. Nicht mehr Spinner unterwegs als sonst. Doch beim näheren Hinsehen und der Benutzung der Öffentlichen fallen einem die Veränderungen ins Auge: Die Stadt quillt mitlerweile über vor Fußballtouristen, gut erkennbar an den fremden Sprachen und Mundarten – obwohl ich zugeben muss, dass sich diese bisher ganz manierlich benehmen. Ganz so, als wären dies Menschen, die nur im 2-Jahres-Rhythmus, nämlich zur Welt- bzw. zur Europameisterschaft, die Fußballgesangsbücher aus dem Bücherregal holen, das Fantrickot bügeln und sich aufmachen zum großen Spiel.
Der gemeine Deutsche seinerseits nutzt die Gunst der Stunde: Er holt seine mottenzerfressene Nationalfahne vom Boden und hängt sich diese wahlweise um den Hals oder aus dem Fenster. Ergänzend gibt es dazu sämtliche Accessoires, die sich ein verkaufsorientierter Erfinder nur denken kann, in den Nationalfarben. So erstrahlt Deutschland momentan in schwarz-rot-gold und der vor 60 Jahren aus der Mode gekommene Nationalstolz bricht sich Bahn, projeziert auf das harmlose Feld des Sports. Sogar die Polizei trägt bunt, die Damen in Form von Girlanden am Handgelenk und die Herren zeigen Flagge an ihren Einsatzfahrzeugen. Obwohl ich heute hörte, dass dies aus Neutralitätsgründen bereits wieder untersagt wurde.
Ich bin gespannt, wie das nach Ende der WM weitergeht: Falten die Deutschen ihre Fahnen wieder fein säuberlich zusammen um sie bis zum nächsten sportlichen Großereignis einzumotten? Oder hoffen sie wie das Schulkind nach den Sommerferien, dass es gar nicht auffällt, wenn es weiterhin 2 h später ins Bett geht? Wird Nationalstolz (natürlich nur in Maßen und durchaus friedlich) in Deutschland salonfähig, oder werden die Flaggenhisser erneut als Nazis abgestempelt? On verra bien…
Nachtrag: Ich seh grad, dass Andreas auch was zum Thema geschrieben hat…